© Jonas Olfe
Im Zelt unterm Felsbogen
Von wegen luxuriöses Campmobil mit Badezimmer, Backofen und Kaltschaum-Matratzen - ein echter Camping-Urlaub findet mitten in der Natur statt, im Zelt und am Lagerfeuer. Barbara und Jonas Olfe wagten das Abenteuer mit ihren Söhnen im amerikanischen Südwesten.
Wir liegen im Zelt. Unsere Jungs, Theo (6) und Paul (3), schlafen tief und fest. Nur zwei dünne Stoffbahnen trennen uns von der Wildnis. Der Wind rauscht durch die mächtigen Fichten, im Tal plätschert ein Bach. Es duftet nach Holzfeuer. Da - schon wieder ein Rascheln! Ist das wieder nur ein Chipmunk, oder doch ein Bär? Überall wird vor Bären gewarnt. Auf großen Tafeln steht geschrieben, dass wir unsere Lebensmittel in fest verschlossenen Boxen aufbewahren sollen, damit die Tiere nicht angelockt werden. Kaum auszudenken, was wäre, wenn uns jetzt tatsächlich uns ein Grizzly heimsuchte.
Für uns Eltern ist an Schlafen nicht zu denken. Wir spinksen vors Zelt. Nein, kein Grizzly. Dafür ein von Milliarden Sternen durchlöcherter Nachthimmel. Im fire pit glimmt noch die Glut vom Abend.
Schon im Jahr zuvor waren wir im Westen unterwegs. Damals beendeten wir unsere Tour am Pazifik mit whale whatching. Doch trotz 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit einer Walbegegnung bekamen wir in der Bucht vor Monterey keine Meeressäuger zu sehen. Als Ersatz erhielten wir einen Gutschein für einen weiteren Bootsausflug - nur: unser Rückflug ging am nächsten Tag. Seitdem hing der Gutschein an unserer Kühlschranktür, befestigt mit einem Bildmagneten aus dem Monument Valley.
Das konnten wir nicht auf uns sitzen lassen. Nein, wir mussten wieder hin. Den Gutschein einlösen, Wale sehen.
Damals nahmen wir ein Wohnmobil und es war eine großartige Reise. Doch das sperrige Fahrzeug hielt uns in den Nationalparks oft von den schönsten Plätzen fern. Da durfte man oft nur zu Fuß hin und Zelten. Da beschlossen wir: das nächste Mal reisen wir mit Zelt.
Gesagt, getan. Jetzt ist das nächste Mal. In Denver sind wir gestartet, jetzt soll es gen Westen nach Utah gehen, dann nach Süden durch das Monument Valley und am Grand Canyon vorbei bis Las Vegas, nach einem Stopp in L.A. die Küste entlang nordwärts bis nach San Francisco.
Die Logistik vor der Reise war eine Herausforderung, doch eine sorgfältige Planung steigert die Vorfreude. Etliche Samstage verbrachten wir bei einem großen Campingausrüster. Akribisch legten wir Excel-Tabellen an und zählten das Gewicht der Einzelteile zusammen. Mit dem Flugzeug dürfen wir vier zusammen nämlich nur 80 Kilogramm Gepäck mitnehmen. Das ist für eine Campingausrüstung äußerst knapp.
Wir wägten die Notwendigkeit jedes Einzelteils gründlich ab. Familienzelt mit Vordach? Unrealistisch. Ein Fünf-Kilo-Trekking-Iglu muss reichen. Kartuschen für den Campingkocher? Im Flugzeug verboten. Kühlbox? Viel zu sperrig. Geschirr? Kaufen wir vor Ort.
Für unsere Camping-Tour hatten wir einen Geländewagen der größten Kategorie gebucht. Beim Autoverleih steht dann das graue Ungeheuer vor uns. Unser SUV: "Super Ugly Vehicle"! Theo kann kaum über die Motorhaube schauen und Paul muss auf allen vieren in den Volant klettern, weil die Kiste so hoch aufgebockt ist. Euphorisch nehmen die Kinder von dem zahmen Riesen Besitz. Wir werfen den dicken Achtzylinder an. Sein sattes Blubbern wird für die nächsten drei Wochen zum treuen Begleiter.
Mp3-Player eingestöpselt: Johnny Cash. Beschwingt lenken wir den Truck vom Gelände. Paul und Theo singen laut: "And it burns, burns, burns ? the ring of fire, the ring of fire?". Gemächlich rollen wir in dem hypnotischen Verkehr auf dem Highway mit. Hinter der endlosen Kette von Rücklichtern taucht die Skyline von Denver auf.
Die erste Nacht verbringen wir im Hotel. Ein letztes Mal warm duschen und eine ausgedehnte Kissenschlacht. Am nächsten Morgen komplettieren wir zunächst die Ausrüstung bei Walmart. Dort entdecken Paul und Theo ihre im letzten Jahr lieb gewonnenen Konsumartikel wieder: Knallbunte Cornflakes, Limo aus Dosen (!) und Plastikspielzeug vom letzten Disney-Blockbuster.
Binnen Minuten ist der Einkaufswagen (in Form eines Rennwagens mit Ladefläche) randvoll. Aber das ist okay. Schließlich wollen wir uns für viele Tage von der Zivilisation verabschieden. Am Ende schieben wir palettenweise Lebensmittel, Brennholz, ein ganzes Set Kochgeschirr, natürlich die Kühlbox, Mückenspray, eine Universalplane und als Trost für die Eltern jeweils ein Kopfkissen aus dem Laden und werfen alles auf die schier endlose Ladefläche.
Der Kaufrausch kostet Zeit. Es ist schon bedenklich spät. Als wir endlich die Stadt hinter uns lassen und unser SUV röhrend auf die Rockies klettert, fängt es an zu regnen.
Der erste Abend gerät zur Nagelprobe für die Familienbande. Der sorgsam im Wohnzimmer einstudierte Zeltaufbau? Vergessen! Die amerikanische Kartusche für den Campingkocher? Passt nicht! Die Batterien für die Taschenlampe? Leer! Das Thermometer fällt im Sturzflug. Nebel steigt auf. Paul läuft die Nase. Mit Kapuzenpulli und Jogginghose steigen wir in die Schlafsäcke und kauern uns aneinander. Die Kinder schlafen bald, wir lauschen den fremden Geräuschen und denken an Grizzlies. Das Abenteuer hat begonnen.
Doch schon bald stellt sich Routine ein. Aufbauen, Abbauen, Einräumen, Ausräumen. Die Bestellung des Lagers beansprucht Zeit und Kraft. Jetzt muss jeder mithelfen, und jeder hat bald seine Aufgabe. Die Kinder stecken die Zeltstangen zusammen. Theo hämmert die Heringe ein. Paul verteilt Getränkedosen an die Abenteurer.
Wir Eltern sind ununterbrochen damit beschäftigt, das Gepäck vom Auto ins Zelt und vom Zelt ins Auto umzuschichten. Aber was uns daheim das Wochenende trüben würde, bereitet uns vor der Kulisse der herrlichen Natur die größte Freude.
Vierter Juli - Independence Day! Ganz Amerika ist unterwegs. Wir haben zwar geahnt, dass an diesem Tag viel los sein würde, aber dass wir auf einer Strecke von bald zweihundertfünfzig Meilen keinen Campground finden würden, der auch nur ein einziges freies Plätzchen anzubieten hätte, lag außerhalb unserer Vorstellungskraft. So irren wir durch Colorado, und kommen nur langsam voran, weil jedes Städtchen für seine Parade den strip abgesperrt hat. Aus dem Auto heraus sehen wir die geschmückten Häuser. Wir hätten so gerne an den Festen teilgenommen. Doch die Suche nach einem Nachtquartier treibt uns weiter.
Ouray ist ein kleines Goldgräbernest. Spektakulär verengt sich hier das Tal. Von hier windet sich der Million Dollar Highway hinauf zum Red Mountain Pass. Der Talschluss heißt Amphitheater, weil man von hier aus wie von den Rängen eines Theaters auf das Dörfchen hinunterschauen kann. Die ersten Schaulustigen postieren sich bereits am späten Nachmittag an den zahlreichen Kehren auf ihren Campingstühlen. Bald wird das Feuerwerk beginnen.
Jetzt können wir nicht mehr weiter. Ein freundlicher Campground-Manager gibt uns den entscheidenden Tipp, und John und Ginny, Dauercamper aus Florida, haben Erbarmen. Der Campground war zwar genauso ausgebucht, wie alle anderen, aber sie erlauben uns, unser Zelt auf ihrer Parzelle aufzuschlagen. Und nicht nur das. Wie es in Amerika oft so ist, werden wir echte Freunde für einen Tag und erfahren das eine oder andere Geheimnis aus dem Alltag Amerikas.
Obwohl Paul und Theo sich überhaupt nicht verständigen können, gehen sie noch am selben Abend in Johns und Ginnys Wohnmobil ein und aus, als ob es ihr eigenes Zuhause wäre. Gerade noch rechtzeitig zur ersten Rakete erreichen wir den Viewpoint und bewundern gemeinsam das Feuerwerk.
Nur besonders beliebte Plätze hatten wir im Voraus reserviert. Zum Beispiel Devils Garden im Arches Nationalpark. Der Campground liegt traumhaft am allerletzten Ende des Scenic Drives auf einer Anhöhe. Abends, nachdem die letzten Tagesgäste den Park verlassen hatten, bleiben wir und zwei Dutzend andere wackere Camper ganz allein in dieser wunderbaren Einsamkeit zurück. Von unserem Zelt aus blicken wir meilenweit über eine der ungewöhnlichsten Landschaften der Welt.
Hier und dort entdecken wir ein paar der Sandsteinbögen, die dem Nationalpark seinen Namen gaben. Hinter einem Felsbogen geht der Mond auf. Die untergehende Sonne taucht alles in ein unwirkliches Rot. Theo turnt barfuß auf den noch warmen Felsen rum. Paul buddelt im roten Sand. Wir entzünden unser allabendliches Campfire und grillen armdicke T-Bone-Steaks. Zum Essen funkeln die ersten Sterne. Von dem Zauber des Momentes überwältigt schweigen wir und atmen tief den Duft der Freiheit.
Früh am Morgen muss Paul für kleine Jungs. Dringend. Der Weg zur Toilette: Eine Viertel Meile zu Fuß. Schlaftrunken entscheiden wir, mit Paul doch lieber schnell hinter den nächsten Felsen zu verschwinden. Das ist im Nationalpark auch für Kleinkinder strengstens verboten und die Strafe folgt auf dem Fuß. Oder besser: an den Füßen. Auf dem Weg um die Ecke treten wir beinahe auf eine Klapperschlange. Mit einem Satz ist Paul auf den väterlichen Schultern. Hinter einem Felsvorsprung gehen wir in Deckung und beobachten, dass das Reptil noch mehr Angst vor uns hat als wir vor ihm. Es stellt sich tot.
Während sich Camper in Europa oft ganze Zeltburgen aufbauen und dort für Wochen verweilen, ist das Zelten in den USA eher eine Sache für Abenteurer und Sportler: Eine Nacht bleiben und danach weiterziehen. Alle anderen sind mit dem Wohnmobil unterwegs. Die rollenden Einfamilienhäuser haben natürlich allen sanitären Komfort an Bord. Dieser kommt daher auf den Plätzen selbst oft zu kurz. Allein fließend Wasser ist keine Selbstverständlichkeit. Neben dem Plumpsklo steht oft eine Flasche Sanitizer. Echte Cowboys halten das aus. Wir aber maximal drei Tage.
Deshalb stoppen wir in regelmäßigen Abständen an einem Motel. So sehr die Jungs auch die Great Outdoors als einen riesigen Abenteuerspielplatz feiern, so sehr genießen sie morgens den Pool am Motel. Wir lassen die Tage dann ruhig angehen während die Kinder planschen. Beim Frühstück mit Danish Waffles und einem halben Liter Kaffee sitzen wir an einem der weißen Plastiktische und planen den Tag.
Nur ein dürrer Zaun trennt Pool und Highway. Hinter den spielenden Kindern flirrt die heiße Luft über dem Asphalt. Das Donnergrollen der vorbeirollenden Trucks verschluckt ihr fröhliches Geschrei. Über unseren Köpfen recken sich die Werbetafeln der immer gleichen Restaurants, Motels und Tankstellen in schwindelerregende Höhen. Es riecht nach Weichspüler und Chlor. Irgendwo summt immer eine Eismaschine. Das ist unser ganz privates Road Movie. Auch das ist Amerika.
Auf dem Weg zum Monument Valley ist der Highway gesperrt. Ein Truck ist umgekippt. Die Räumung werde viele Stunden dauern, sagt man uns. Kaum weniger Zeit würde uns die Umfahrung kosten. Unter dem Mantel der Verschwiegenheit steckt uns ein Cop, dass wir auch den direkten Weg auf dem festen Wüstenboden nehmen können. Prüfend betrachtet er unseren Geländewagen und bekräftigt seinen Rat.
Bei der Übergabe des Mietautos hatten wir zwar unterschrieben, niemals die befestigte Straße zu verlassen. Aber das hier war ein Notfall. Wir lassen uns nicht lange bitten und rollen von der Straße auf den Sand. Mit Allradantrieb kurven wir um das Tumbleweed. Bald schleppen wir eine kilometerlange Staubwolke hinter uns her. Wie wild hüpft der Wagen über die vom Wind geformten Rippen im Wüstensand. Nach wenigen Minuten ist auch innen jede Ritze unseres Autos von einer roten Staubschicht ausgefüllt. Aufgeregt springen Paul und Theo von ihren Sitzen auf. Abenteuer!
Canyonlands, Monument Valley, Grand Canyon waren großartig. Jetzt wollen wir weiter, jetzt wollen wir Strecke machen. In Arizona packte uns der On-The-Road-Rausch. Wir fahren bis in die Nacht hinein. Theo und Paul schlafen auf der Rückbank. An einen Zeltaufbau ist nicht mehr zu denken.
Wir klappern einige Motels ab. Doch auf den Einflugschneisen von Las Vegas ist nichts mehr zu machen. Alles voll. Als Herberge bleibt uns nur noch die Ladefläche unseres Geländewagens.
Ohne Umschweife lädt uns die Bedienung einer Tankstelle ein, auf ihrem Truckerplatz zu übernachten. Für Globetrotter haben Amerikaner ein Herz. Dort klemmen wir uns zwischen die Trucks. Nachdem wir alle Koffer und Taschen auf die Vordersitze gestopft hatten, schlafen wir wie die Sardinen in der Konserve. Wir sortieren uns zwecks Raumersparnis gegenläufig, das heißt Kopf gegen Füße. Der Bathroom für die Trucker ist hier besser als auf so manchem Campground.
Bald stehen wir im Bug des Walbootes. Beinahe hätte der enorme Wellengang die Absage der Ausfahrt erzwungen. Doch unser Kapitän ist mutig. Mühsam schiebt sich der alte Kahn die düsteren Wellenberge hinauf, kracht ächzend ins nächste Tal. Ängstlich klammern wir uns an die Reling und halten angestrengt Ausschau nach Walen.
Dann endlich: Heureka! Blauwale voraus. Zwei der Giganten queren deutlich erkennbar unter uns das Boot. Als sie dann keine zwanzig Meter vor uns auftauchen, eine masthohe Fontäne ausstoßend, schwinden uns die Sinne. Nach drei Wochen in der unglaublichen Natur Amerikas wird ein lang gehegter Traum zur surrealen Wirklichkeit. Uns allen klopfen die Herzen. Vor Freude rinnen Theo ein paar Tränen hinab in die aufgewühlte See.
Wir liegen im Zelt. Unsere Jungs, Theo (6) und Paul (3), schlafen tief und fest. Nur zwei dünne Stoffbahnen trennen uns von der Wildnis. Der Wind rauscht durch die mächtigen Fichten, im Tal plätschert ein Bach. Es duftet nach Holzfeuer. Da - schon wieder ein Rascheln! Ist das wieder nur ein Chipmunk, oder doch ein Bär? Überall wird vor Bären gewarnt. Auf großen Tafeln steht geschrieben, dass wir unsere Lebensmittel in fest verschlossenen Boxen aufbewahren sollen, damit die Tiere nicht angelockt werden. Kaum auszudenken, was wäre, wenn uns jetzt tatsächlich uns ein Grizzly heimsuchte.
© Jonas Olfe
Unterwegs mit Kindern.
Schon im Jahr zuvor waren wir im Westen unterwegs. Damals beendeten wir unsere Tour am Pazifik mit whale whatching. Doch trotz 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit einer Walbegegnung bekamen wir in der Bucht vor Monterey keine Meeressäuger zu sehen. Als Ersatz erhielten wir einen Gutschein für einen weiteren Bootsausflug - nur: unser Rückflug ging am nächsten Tag. Seitdem hing der Gutschein an unserer Kühlschranktür, befestigt mit einem Bildmagneten aus dem Monument Valley.
Das konnten wir nicht auf uns sitzen lassen. Nein, wir mussten wieder hin. Den Gutschein einlösen, Wale sehen.
Damals nahmen wir ein Wohnmobil und es war eine großartige Reise. Doch das sperrige Fahrzeug hielt uns in den Nationalparks oft von den schönsten Plätzen fern. Da durfte man oft nur zu Fuß hin und Zelten. Da beschlossen wir: das nächste Mal reisen wir mit Zelt.
Logistik für Fortgeschrittene
Gesagt, getan. Jetzt ist das nächste Mal. In Denver sind wir gestartet, jetzt soll es gen Westen nach Utah gehen, dann nach Süden durch das Monument Valley und am Grand Canyon vorbei bis Las Vegas, nach einem Stopp in L.A. die Küste entlang nordwärts bis nach San Francisco.
Die Logistik vor der Reise war eine Herausforderung, doch eine sorgfältige Planung steigert die Vorfreude. Etliche Samstage verbrachten wir bei einem großen Campingausrüster. Akribisch legten wir Excel-Tabellen an und zählten das Gewicht der Einzelteile zusammen. Mit dem Flugzeug dürfen wir vier zusammen nämlich nur 80 Kilogramm Gepäck mitnehmen. Das ist für eine Campingausrüstung äußerst knapp.
Wir wägten die Notwendigkeit jedes Einzelteils gründlich ab. Familienzelt mit Vordach? Unrealistisch. Ein Fünf-Kilo-Trekking-Iglu muss reichen. Kartuschen für den Campingkocher? Im Flugzeug verboten. Kühlbox? Viel zu sperrig. Geschirr? Kaufen wir vor Ort.
Ein Berg Gepäck im Kofferraum
Für unsere Camping-Tour hatten wir einen Geländewagen der größten Kategorie gebucht. Beim Autoverleih steht dann das graue Ungeheuer vor uns. Unser SUV: "Super Ugly Vehicle"! Theo kann kaum über die Motorhaube schauen und Paul muss auf allen vieren in den Volant klettern, weil die Kiste so hoch aufgebockt ist. Euphorisch nehmen die Kinder von dem zahmen Riesen Besitz. Wir werfen den dicken Achtzylinder an. Sein sattes Blubbern wird für die nächsten drei Wochen zum treuen Begleiter.
Mp3-Player eingestöpselt: Johnny Cash. Beschwingt lenken wir den Truck vom Gelände. Paul und Theo singen laut: "And it burns, burns, burns ? the ring of fire, the ring of fire?". Gemächlich rollen wir in dem hypnotischen Verkehr auf dem Highway mit. Hinter der endlosen Kette von Rücklichtern taucht die Skyline von Denver auf.
Das Abenteuer beginnt
Die erste Nacht verbringen wir im Hotel. Ein letztes Mal warm duschen und eine ausgedehnte Kissenschlacht. Am nächsten Morgen komplettieren wir zunächst die Ausrüstung bei Walmart. Dort entdecken Paul und Theo ihre im letzten Jahr lieb gewonnenen Konsumartikel wieder: Knallbunte Cornflakes, Limo aus Dosen (!) und Plastikspielzeug vom letzten Disney-Blockbuster.
Binnen Minuten ist der Einkaufswagen (in Form eines Rennwagens mit Ladefläche) randvoll. Aber das ist okay. Schließlich wollen wir uns für viele Tage von der Zivilisation verabschieden. Am Ende schieben wir palettenweise Lebensmittel, Brennholz, ein ganzes Set Kochgeschirr, natürlich die Kühlbox, Mückenspray, eine Universalplane und als Trost für die Eltern jeweils ein Kopfkissen aus dem Laden und werfen alles auf die schier endlose Ladefläche.
Der Kaufrausch kostet Zeit. Es ist schon bedenklich spät. Als wir endlich die Stadt hinter uns lassen und unser SUV röhrend auf die Rockies klettert, fängt es an zu regnen.
Der erste Abend gerät zur Nagelprobe für die Familienbande. Der sorgsam im Wohnzimmer einstudierte Zeltaufbau? Vergessen! Die amerikanische Kartusche für den Campingkocher? Passt nicht! Die Batterien für die Taschenlampe? Leer! Das Thermometer fällt im Sturzflug. Nebel steigt auf. Paul läuft die Nase. Mit Kapuzenpulli und Jogginghose steigen wir in die Schlafsäcke und kauern uns aneinander. Die Kinder schlafen bald, wir lauschen den fremden Geräuschen und denken an Grizzlies. Das Abenteuer hat begonnen.
Camping ist Teamarbeit
Doch schon bald stellt sich Routine ein. Aufbauen, Abbauen, Einräumen, Ausräumen. Die Bestellung des Lagers beansprucht Zeit und Kraft. Jetzt muss jeder mithelfen, und jeder hat bald seine Aufgabe. Die Kinder stecken die Zeltstangen zusammen. Theo hämmert die Heringe ein. Paul verteilt Getränkedosen an die Abenteurer.
Wir Eltern sind ununterbrochen damit beschäftigt, das Gepäck vom Auto ins Zelt und vom Zelt ins Auto umzuschichten. Aber was uns daheim das Wochenende trüben würde, bereitet uns vor der Kulisse der herrlichen Natur die größte Freude.
Freunde für einen Tag
Vierter Juli - Independence Day! Ganz Amerika ist unterwegs. Wir haben zwar geahnt, dass an diesem Tag viel los sein würde, aber dass wir auf einer Strecke von bald zweihundertfünfzig Meilen keinen Campground finden würden, der auch nur ein einziges freies Plätzchen anzubieten hätte, lag außerhalb unserer Vorstellungskraft. So irren wir durch Colorado, und kommen nur langsam voran, weil jedes Städtchen für seine Parade den strip abgesperrt hat. Aus dem Auto heraus sehen wir die geschmückten Häuser. Wir hätten so gerne an den Festen teilgenommen. Doch die Suche nach einem Nachtquartier treibt uns weiter.
Ouray ist ein kleines Goldgräbernest. Spektakulär verengt sich hier das Tal. Von hier windet sich der Million Dollar Highway hinauf zum Red Mountain Pass. Der Talschluss heißt Amphitheater, weil man von hier aus wie von den Rängen eines Theaters auf das Dörfchen hinunterschauen kann. Die ersten Schaulustigen postieren sich bereits am späten Nachmittag an den zahlreichen Kehren auf ihren Campingstühlen. Bald wird das Feuerwerk beginnen.
Jetzt können wir nicht mehr weiter. Ein freundlicher Campground-Manager gibt uns den entscheidenden Tipp, und John und Ginny, Dauercamper aus Florida, haben Erbarmen. Der Campground war zwar genauso ausgebucht, wie alle anderen, aber sie erlauben uns, unser Zelt auf ihrer Parzelle aufzuschlagen. Und nicht nur das. Wie es in Amerika oft so ist, werden wir echte Freunde für einen Tag und erfahren das eine oder andere Geheimnis aus dem Alltag Amerikas.
Obwohl Paul und Theo sich überhaupt nicht verständigen können, gehen sie noch am selben Abend in Johns und Ginnys Wohnmobil ein und aus, als ob es ihr eigenes Zuhause wäre. Gerade noch rechtzeitig zur ersten Rakete erreichen wir den Viewpoint und bewundern gemeinsam das Feuerwerk.
Traumcamping im Nationalpark
Nur besonders beliebte Plätze hatten wir im Voraus reserviert. Zum Beispiel Devils Garden im Arches Nationalpark. Der Campground liegt traumhaft am allerletzten Ende des Scenic Drives auf einer Anhöhe. Abends, nachdem die letzten Tagesgäste den Park verlassen hatten, bleiben wir und zwei Dutzend andere wackere Camper ganz allein in dieser wunderbaren Einsamkeit zurück. Von unserem Zelt aus blicken wir meilenweit über eine der ungewöhnlichsten Landschaften der Welt.
Hier und dort entdecken wir ein paar der Sandsteinbögen, die dem Nationalpark seinen Namen gaben. Hinter einem Felsbogen geht der Mond auf. Die untergehende Sonne taucht alles in ein unwirkliches Rot. Theo turnt barfuß auf den noch warmen Felsen rum. Paul buddelt im roten Sand. Wir entzünden unser allabendliches Campfire und grillen armdicke T-Bone-Steaks. Zum Essen funkeln die ersten Sterne. Von dem Zauber des Momentes überwältigt schweigen wir und atmen tief den Duft der Freiheit.
Früh am Morgen muss Paul für kleine Jungs. Dringend. Der Weg zur Toilette: Eine Viertel Meile zu Fuß. Schlaftrunken entscheiden wir, mit Paul doch lieber schnell hinter den nächsten Felsen zu verschwinden. Das ist im Nationalpark auch für Kleinkinder strengstens verboten und die Strafe folgt auf dem Fuß. Oder besser: an den Füßen. Auf dem Weg um die Ecke treten wir beinahe auf eine Klapperschlange. Mit einem Satz ist Paul auf den väterlichen Schultern. Hinter einem Felsvorsprung gehen wir in Deckung und beobachten, dass das Reptil noch mehr Angst vor uns hat als wir vor ihm. Es stellt sich tot.
Camping-Pausen müssen sein
Während sich Camper in Europa oft ganze Zeltburgen aufbauen und dort für Wochen verweilen, ist das Zelten in den USA eher eine Sache für Abenteurer und Sportler: Eine Nacht bleiben und danach weiterziehen. Alle anderen sind mit dem Wohnmobil unterwegs. Die rollenden Einfamilienhäuser haben natürlich allen sanitären Komfort an Bord. Dieser kommt daher auf den Plätzen selbst oft zu kurz. Allein fließend Wasser ist keine Selbstverständlichkeit. Neben dem Plumpsklo steht oft eine Flasche Sanitizer. Echte Cowboys halten das aus. Wir aber maximal drei Tage.
Deshalb stoppen wir in regelmäßigen Abständen an einem Motel. So sehr die Jungs auch die Great Outdoors als einen riesigen Abenteuerspielplatz feiern, so sehr genießen sie morgens den Pool am Motel. Wir lassen die Tage dann ruhig angehen während die Kinder planschen. Beim Frühstück mit Danish Waffles und einem halben Liter Kaffee sitzen wir an einem der weißen Plastiktische und planen den Tag.
Nur ein dürrer Zaun trennt Pool und Highway. Hinter den spielenden Kindern flirrt die heiße Luft über dem Asphalt. Das Donnergrollen der vorbeirollenden Trucks verschluckt ihr fröhliches Geschrei. Über unseren Köpfen recken sich die Werbetafeln der immer gleichen Restaurants, Motels und Tankstellen in schwindelerregende Höhen. Es riecht nach Weichspüler und Chlor. Irgendwo summt immer eine Eismaschine. Das ist unser ganz privates Road Movie. Auch das ist Amerika.
Endlich Off Road
Auf dem Weg zum Monument Valley ist der Highway gesperrt. Ein Truck ist umgekippt. Die Räumung werde viele Stunden dauern, sagt man uns. Kaum weniger Zeit würde uns die Umfahrung kosten. Unter dem Mantel der Verschwiegenheit steckt uns ein Cop, dass wir auch den direkten Weg auf dem festen Wüstenboden nehmen können. Prüfend betrachtet er unseren Geländewagen und bekräftigt seinen Rat.
Bei der Übergabe des Mietautos hatten wir zwar unterschrieben, niemals die befestigte Straße zu verlassen. Aber das hier war ein Notfall. Wir lassen uns nicht lange bitten und rollen von der Straße auf den Sand. Mit Allradantrieb kurven wir um das Tumbleweed. Bald schleppen wir eine kilometerlange Staubwolke hinter uns her. Wie wild hüpft der Wagen über die vom Wind geformten Rippen im Wüstensand. Nach wenigen Minuten ist auch innen jede Ritze unseres Autos von einer roten Staubschicht ausgefüllt. Aufgeregt springen Paul und Theo von ihren Sitzen auf. Abenteuer!
Ein Herz für Globetrotter
Canyonlands, Monument Valley, Grand Canyon waren großartig. Jetzt wollen wir weiter, jetzt wollen wir Strecke machen. In Arizona packte uns der On-The-Road-Rausch. Wir fahren bis in die Nacht hinein. Theo und Paul schlafen auf der Rückbank. An einen Zeltaufbau ist nicht mehr zu denken.
Wir klappern einige Motels ab. Doch auf den Einflugschneisen von Las Vegas ist nichts mehr zu machen. Alles voll. Als Herberge bleibt uns nur noch die Ladefläche unseres Geländewagens.
Ohne Umschweife lädt uns die Bedienung einer Tankstelle ein, auf ihrem Truckerplatz zu übernachten. Für Globetrotter haben Amerikaner ein Herz. Dort klemmen wir uns zwischen die Trucks. Nachdem wir alle Koffer und Taschen auf die Vordersitze gestopft hatten, schlafen wir wie die Sardinen in der Konserve. Wir sortieren uns zwecks Raumersparnis gegenläufig, das heißt Kopf gegen Füße. Der Bathroom für die Trucker ist hier besser als auf so manchem Campground.
Der Kreis schließt sich
Frisch gewaschen mischen wir uns erst in Las Vegas, dann in Los Angeles wieder unter Menschen. Als wir in Monterey am Pazifik wieder auf die Route vom vergangenen Jahr einschwenkten, liegt das Abenteuer in den Great Outdoors schon hinter uns.Bald stehen wir im Bug des Walbootes. Beinahe hätte der enorme Wellengang die Absage der Ausfahrt erzwungen. Doch unser Kapitän ist mutig. Mühsam schiebt sich der alte Kahn die düsteren Wellenberge hinauf, kracht ächzend ins nächste Tal. Ängstlich klammern wir uns an die Reling und halten angestrengt Ausschau nach Walen.
Dann endlich: Heureka! Blauwale voraus. Zwei der Giganten queren deutlich erkennbar unter uns das Boot. Als sie dann keine zwanzig Meter vor uns auftauchen, eine masthohe Fontäne ausstoßend, schwinden uns die Sinne. Nach drei Wochen in der unglaublichen Natur Amerikas wird ein lang gehegter Traum zur surrealen Wirklichkeit. Uns allen klopfen die Herzen. Vor Freude rinnen Theo ein paar Tränen hinab in die aufgewühlte See.
© Text: Jonas Olfe
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