© Christian Heeb
Ranch Life: Als ich ein Cowboy war
Pferde als Drogenkuriere
Remington ist ein Wallach, 22 Jahre alt und seit 1992 auf der Ranch. Er stammt aus Privatbesitz, jemand hatte sich ihn zum Vergnügen gekauft und später das Interesse an dem Tier verloren. 125 Pferde sind auf der White Stallion Ranch zuhause, in einem Ordner im Aufenthaltsraum kann man die Geschichte jedes einzelnen nachlesen: Amigo etwa schleppte Drogen von Mexiko über die Grenze und wurde beschlagnahmt, bis ihn die Familie True auf einer Auktion erwarb. Apache sollte einmal zum Springreiten ausgebildet werden, was aufgrund mangelhaften Trainings erfolglos blieb. Lebensschicksale, gebündelt in knappe Sätze wie diesen: "Bailey wurde als Rennpferd trainiert, aber zeigte keine Lust zu laufen."
Auf der White Stallion Ranch finden sie alle Asyl, viel Platz und manche auch einen geruhsamen Alterssitz. Schon nach dem ersten Ausritt steht fest, dass Remington und ich füreinander geschaffen sind. Das Pferd ist ruhig, geduldig und trotzdem nicht lahm. Unsere Kommunikationsschwierigkeiten werden wir auch noch beheben.
Kino nach dem Reiten
Das Abendessen wird im Freien serviert. Russell oder sein Bruder Michael säbeln Roastbeef ab, aber auch Vegetarier haben keine Mühe, sich treu zu bleiben, bei Möhren, Kartoffeln, Salat und Meerrettichsauce mit Dill. Auch Bernd Johnen aus Köln schlägt kräftig zu und ist zufrieden: "Ich habe meine Frau aufs Pferd gekriegt." Nur sein sonstiges Leben erscheint ihm plötzlich irgendwie fragwürdig: 14-17 Stunden pro Tag arbeite er in einer industriellen Fleischerei. "Bei so viel Arbeit kommt man in einer Umgebung wie hier richtig ins Grübeln. Dann ist es wohl der richtige Urlaub."
Russel True geht von Tisch zu Tisch, verkündet das Programm des nächsten Tages und bemüht sich, für jeden der 70 Gäste die richtige Aktivität zu finden. Schnell ausreiten oder langsam, ein "Breakfast Ride" wird angeboten, vier Mal pro Woche geht es auf eine Wandertour, ansonsten gibt es aber auch einen Tennisplatz, ein Fitness-Center, einen Basketballplatz und sogar ein Kino. True trägt zwar ein Cowboy-Outfit, bedient aber sonst kaum ein Klischee, das man mit diesem rauen Menschenschlag verbindet.
Dem Stress entfliehen
Seit 1965 ist die White Stallion Ranch im Besitz der Familie, seither wuchs sie von 65 auf über 1.200 Hektar. Russell wuchs hier seit seinem fünften Lebensjahr auf. Eine Guest Ranch, erklärt er, das sei eine Ranch, die als Ferienort konzipiert ist, rund um die "Western Tradition". Und das bedeute vor allem Offenheit und Gastfreundschaft. "Die Leute kommen aus drei Gründen hierher: Pferde, um Stress und Trubel zu entfliehen, um eine Ranch kennen zu lernen, weil es eine großartige, erholsame Abwechslung ist, und wegen des Wetters. Na gut, das waren fünf Gründe."
Am nächsten Morgen wache ich zum Gezwitscher der Kaktuszaunkönige vor dem Fenster auf. Ich beschließe, einen Morgenspaziergang zu machen, bevor die Schatten harte Striche auf den Boden malen und die Welt messerscharf in geometrische Muster zerschneiden. Noch streicht eine kühle Brise um die weiß getünchten Bungalows, in denen die Gäste wohnen. Die Ocatilla-Büsche blühen in strahlendem Rot, als würden aus ihren Ästen kleine Flammen lodern. Old-Man-Kakteen wedeln mit ihren weißen Zauselbärten, gelb und rot und lila leuchten die zahllosen Kaktusblüten von Golden Barrel, Organ Pipe und Prickly Pear. Saguaros begrüßen mich mit weit geöffneten Armen zu einem neuen Tag. Auch die Pferde sind schon wach, die Wrangler sind seit vier Uhr auf den Beinen.
Mord auf der Guest Ranch
Als die Sonne höher steigt und in den Bäumen hängen bleibt, lassen sich die Gäste nach und nach bunt gemischt und unsortiert an den Tischen auf der Terrasse nieder, wo der Brunnen plätschert und die Schatten der Blätter jetzt auf den Kacheln tanzen. Frühstück holt sich jeder selbst vom Buffet.
Tauben gurren und Tischgenosse Jim Spencer erzählt, dass er Kriminalschriftsteller sei und hier für seinen nächsten Roman recherchiert: Mord auf der Guest Ranch. Ein Herzinfarkt und die nachfolgende Operation, berichtet er, hätten ihn aus stressbeladenen Jobs in der Wirtschaft und beim Militär zum Schreiben gebracht. Vier Monate lang lag er im Krankenhaus und begann dort mit seiner ersten Kurzgeschichte. Mittlerweile hat er neun Romane vollendet und Lob von Stephen King erhalten. Vielleicht werden einige der anwesenden Gäste in seinem Roman auftauchen.
Michael vielleicht. Er ist in seinen Fünfzigern, trägt ein Jeanshemd und lange Haare und besitzt einen deutlichen Hang zur Esoterik. Er lebt auf einer Ranch in Washington, Pferde wollte er dort nie besitzen. Doch es kam anders: "Meine Frau wünschte sich eines, um ausreiten zu können. Also kauften wir es. Dann sah sie einen Fuchs und verliebte sich in ihn, also kauften wir ihn auch. Das dritte Pferd war ein Spanish Barb, das wir vor dem Schlachter gerettet haben, eine seltene Rasse, die fast ausgestorben ist. Das vierte war ein schwarzer Hengst, wirklich das schönste Pferd, das ich je gesehen habe. Dann kauften wir drei Pferde von Bekannten, und eines davon war schwanger, und so ging das immer weiter." Inzwischen besitzt Michael 17 Pferde, doch wie man mit ihnen umgeht, will er hier erst noch lernen.
Intelligente Tiere
Sein Freund Gary, der ihn begleitet, hat am vorigen Tag ein blaues Auge davongetragen: Sein Pferd Hidalgo riss bei einem Workshop des Pferdeflüsterers plötzlich den Kopf hoch, gerade als er darüber gebeugt war, und traf ihn im Gesicht. Jetzt macht er sich auf in die Koppel, um sich mit dem Tier zu versöhnen: "Ich will sehen, ob er sich noch an mich erinnert." Langsam nähert er sich außerhalb des Zauns an, dann tritt er ins Gatter und krault Hidalgos Nacken.
Michael lehnt solange am Gestänge und raucht selbstgedrehten Tabak. Dieses Pferd, sagt er überzeugt, könne Gedanken lesen, so intelligent sei es. Gary solle sich in eine Ecke stellen und dem Pferd gedanklich mitteilen, dass es zu ihm kommen solle. Und wirklich: Hidalgo, zunächst desinteressiert, hebt den Kopf, schaut herüber und kommt zielstrebig angetrabt.
Lebenstraining mit Pferden
Dann sind da Lynn und Anne, die Management- und Lebens-Training mit Pferden anbieten: "Equine Guided Training" soll helfen, "das nächst höhere Level zu erreichen, im Beruf oder privat". Zwischen Menschen und Pferden, sagen sie, entstehe eine intuitive Verbindung, die uns mehr über uns selbst erzähle als jahrelange Therapie. "Unser Körper und unsere Gefühle sind sehr weise, aber wir gehen meistens darüber hinweg. Pferde bringen uns unmittelbar an diesen Ort, wo wir unsere Körper und uns selbst wieder wahrnehmen. Sie helfen dir, deinen Traum zu realisieren."
Cowgirl Jennies Traum ist es, ihr Leben lang nur Pferde zu betreuen, doch auch sie arbeitet nur für drei Monate hier: "Mein Vater will, dass ich Anwältin werde. Also werde ich wohl auf die Law School gehen." Im Alter von 23 hat Jennie bereits einen Uni-Abschluss in Geschichte. Im Ford Ranger drehen wir eine Runde um die Ranch. Die breiten Ledersitze sind aufgescheuert, Schaumstoff quillt heraus, eine dicke Staubschicht hüllt die Armaturen ein. Der Schlüssel wird hier nie abgezogen. "Die Ranch ist eine wunderbare Luftblase für mich", sagt Jennie, die aus Houston, Texas stammt. "Von der Welt kriegt man hier nicht viel mit."
Abfedern wie Elvis
Heute nehme ich richtigen Reitunterricht, bei Carol, der Chef-Wranglerin, und natürlich auf Remington. Ich freue mich über die Maßen, mein Pferd wiederzusehen. Dass es ihm genauso geht, wage ich nicht zu behaupten.
Sanfter Druck, fester Druck, Kick. Fersen runter, in der Hüfte beweglich bleiben. "Abfedern wie Elvis" nennt Carol das. Sie korrigiert meine Handhaltung. "Warum macht das Pferd nicht das, was ich will?", fragt die 18-jährige Priscilla, die neben mir reitet. "Weil es kann", antwortet Carol. Konsequent sein heißt die Devise, nicht unsicher werden.
Dann traben wir, jeweils eine Bahn, und dann: Galopp. Plötzlich wird alles leichter und fließend. Kann es wirklich sein, dass ich erst einen Tag hier bin? Euphorisch melde ich mich zum "Team Panning" an, bei dem Rinder im Dreierteam aus der Herde isoliert und in ein Gatter getrieben werden.
Tanzen im Country Style
Zuerst aber nehme ich am Abend Tanzunterricht, country style, mit Daumen hinter der Gürtelschnalle. Und ich lerne Kristina kennen. Kristina wirkt sehr ätherisch und kommt aus Cape Cod, Massachusetts. "Ich habe keine Lust mehr, in einem Büro zu arbeiten", sagt sie. "Je älter man wird, umso mehr spürt man die eigene Vergänglichkeit." Deshalb begleitet sie jetzt mit ihrem Harfenspiel Sterbende beim Übergang ins Jenseits. "Man beobachtet ihren Herzschlag auf den Monitoren, bis er irgendwann aufhört. Es ist ein großes Geschenk, in solch einem wertvollen Moment von den Menschen willkommen geheißen zu werden." Es habe Gründe, meint sie, dass Engel mit Harfen abgebildet werden. Nur ihr eigenes Harfenspiel lasse noch zu wünschen übrig: "Ich lerne immer noch und ich mache nicht viele Fortschritte." Mittags riecht die Welt nach Staub, er beißt in den Augen, steht in der Luft und legt einen Schleier über die Welt. Am frühen Abend bringt die Sonne ihn zum Glühen. Buchhalterin Kathy aus New York wird in den nächsten Tagen ihrem zehnjährigen Sohn Jackson die Stadt austreiben, und der wird seinem Pferd Major Beine machen: "Er ist ein bisschen faul, aber wenn er in Fahrt kommt, dann richtig." Nur Holly aus Cooperstown reitet immer noch nicht gern und baut lieber ihre Staffelei auf, während ihre Tochter Georgia das Pferd tauscht, weil sie es zu langsam findet. Ich aber würde am liebsten einfach hier bleiben.
AMERICA GUIDE
Guest Ranches
Der hier beschrieben Aufenthalt fand auf der White Stallion Ranch statt, 9251 Twin Peaks Rd., Tucson, AZ 85743, Tel. 1 (520) 297-0252, Fax 1 (520) 682-2718, www.whitestallion.com
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© Text: Hannes Klug
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