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Shenandoah National Park, Virginia © Christian Heeb
© Christian Heeb

Nationalparks der USA: Shenandoah, Virginia



Ein ehemaliger Schauplatz des Bürgerkrieges ist heute ein beliebtes Erholungsgebiet der Ostküste. Eine Panoramastraße verbindet die wichtigsten Höhepunkte.


DER PARK


Wald bis zum Horizont. Auf einer der wenigen Lichtungen grasen Weißwedelhirsche. Sie nehmen ihren Kopf auch nicht aus der Wiese, wenn sie wie in Trance nach vorne staksen. Der Morgentau hat sich inzwischen in dichten Dampf verwandelt und schwebt aus den Furchen zwischen den Bergrücken herauf. Vor knapp 150 Jahren hieben hier Soldaten mit ihren Säbeln Körperteile ab und schossen sich aus nächster Nähe in den Kopf. Viele der Verletzten starben langsam im Morast, während ihre Kameraden in den tiefen Eichenwald flüchteten.
Shenandoah National Park, Virginia © Christian Heeb
© Christian Heeb
Waldreicher Höhenzug.
Das Tal des Shenandoah in Virginia war eines der wichtigsten Nadelöhre des amerikanischen Bürgerkriegs. "Wenn wir das Tal verlieren, verlieren wir Virginia", war das Credo der Konföderierten - und Virginia war der reichste und wichtigste Teil der Südstaaten. Andererseits fürchtete Präsident Lincoln, dass nach einer Niederlage am Shenandoah der Weg nach Washington offen stünde. Ein schneller, tödlicher Stoß ins Herz der Nordstaaten schien möglich.
Der Mann, der sich im Jahr 1862 wie ein Geist durch die Wildnis zwischen den beiden Armen des Shenandoah und den Blue Ridge Mountains bewegte, hieß Major General Thomas J. Jackson, bekannt unter seinem Spitznamen "Stonewall". Mit seiner Einheit beschäftigte er drei Mal so viele Soldaten der Union.
Das Gelände war ideal: Die bewaldeten Hügel heben und senken sich, soweit das Auge reicht. In diesem unüberschaubaren Dickicht brachte er seine Gegner zur Verzweiflung: Wenn Jackson überraschend auftauchte, dann schaffte er es, überlegene Kräfte zu schlagen. An der Militärakademie West Point gehören die Manöver von "Stonewall" Jackson immer noch zum Lehrstoff. Im Süden ist er eine Legende.
Wenn man vom Scheitelpunkt der Blue Ridge Mountains auf die Idylle hinunterblickt, glaubt man nicht, dass hier einmal so viel Blut versickerte. Die sanften Schwünge der Hügel überschneiden sich, die Bäume leuchten in unterschiedlichem Grün. Über dem Mix aus über 100 Baumarten, meistens Eichen und Pappeln, liegt das Rauschen eines Baches - über 90 Quellen sprudeln in den Bergen und bilden die charakteristischen Strudel, in denen im Herbst die Blätter tanzen. Sie schießen den Bergzug über Riffelungen, Stromschnellen, Kaskaden und Wasserfälle hinunter, die bis zu 28 Meter hoch sind. Mehr als 200 Vogelarten bieten akustische Unterhaltung.
Shenandoah National Park, Virginia © Christian Heeb
© Christian Heeb
Auf dem Kamm verläuft der Appalachian Trail.
Der Shenandoah National Park ist ein 105 Meilen langer und 300 Quadratmeilen großer Schlauch, den der Sky Drive durchzieht. Diese Straße wurde in den 30er Jahren in den Scheitelpunkt der Blue Ridge Mountains gehauen und ermöglicht den Besuchern von über 70 Aussichtspunkten herrliche Blicke auf das Shenandoahtal im Westen und die Piedmontebene im Osten.
Sie folgt sogar den Höhenwegen, die schon die Indianer und die ersten Trapper benutzt haben. Vor 300 Millionen Jahren hätte man hier auf einer Kette so hoch wie der Himalaya gestanden, die sich vom damaligen Maine bis nach Georgia zog. Die Blue Ridge Mountains sind das von Wind und Wetter abgetragene Überbleibsel.
Der Großteil der Besucher verlässt die Parkstraße nicht - ein Grund mehr, sich auf den 500 Meilen an Wanderwegen auszutoben, darunter eine Sektion des Appalachian Trails. Dort findet man noch das Grenzland, als das der Park bis ins 20. Jahrhundert galt: 40 Prozent des Gebiets sind als Wilderness eingestuft und weisen demnach keine Anzeichen von Zivilisation auf.
In anderen Teilen gibt es so viele Spuren von Menschen wie in keinem anderen Nationalpark. Die Gründung des Parks war ein Politikum: Die Amerikaner im urbanen Osten wollten endlich einen Nationalpark haben, der leicht zu erreichen sein sollte. Unberührtes Land wie im Westen gab es schon längst nicht mehr: Für Shenandoah mussten die Behörden von 1925 bis 1935 über 3.800 private Grundstücke kaufen - ein langer und zäher Akt, in dessen Verlauf die "Mountain People" als moderne Wilde dargestellt wurden, als Hinterwäldler, denen das zeitgenössische Amerika völlig fremd war - eine gnadenlose Übertreibung der Medien.
Die meisten verkauften ihren Besitz. Einige wenige aber ließen sich nicht vertreiben und starben schließlich auf ihren abgelegenen Gehöften, deren Friedhöfe man mit viel Glück heute noch findet. Inzwischen muss man schon genau hinschauen, um die Spuren der Farmen noch zu erkennen. Tausende junger Männer des Civilian Conservation Corps, einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme nach der Weltwirtschaftskrise, haben die Äcker und Weideflächen neu bepflanzt. Heute bestehen wieder 95 Prozent des Parks aus Wald.

Shenandoah National Park, Virginia © Christian Heeb
© Christian Heeb
Aussichtspunkt am Sky Drive.

EIN TAG IM PARK


Besucher, die aus Washington kommen, fahren südlich von Front Royal in den Park, wo "Stonewall" Jackson einen seiner großen Siege feierte. Fünf Meilen auf dem Skyline Drive hinter der dortigen Entrance Station liegt das Dickey Ridge Visitor Center. Hier kann man Infos sammeln, sich einen Überblick über den Park verschaffen, aber auch einen Eindruck vom Leben der "Mountain People" gewinnen.
Wir überqueren die Straße und wandern anderthalb Meilen auf dem Fox Hollow Drive. Er ist nach den Pächtern benannt, die in diesem Tal 1837 als Erste siedelten. Hier können wir die Mühen der Siedler nicht nur ahnen, sondern auch sehen: Es liegen noch Haufen der Steine herum, die sie erst aus dem Boden wuchten mussten, um überhaupt mit der Landwirtschaft beginnen zu können.
Zuerst lassen wir an den Aussichtspunkten die Landschaft auf uns wirken. Einer der schönsten ist der Hogback Overlook an Meile 21. An klaren Tagen sieht man von hier aus, wie der Shenandoah durchs Tal mäandert. Zwar gibt es immer noch ein Problem mit der Luftverschmutzung, die Situation hat sich aber in den letzten Jahren sehr gebessert.
Nur eine Meile weiter liegt der Zeltplatz Mathews Arm. Hier geht ein fast zwei Meilen langer Naturlehrpfad ab: die alte Straße, Bäume, die zusammengefallene Steinmauer - verblichene Umrisse einer Existenz weitab der Zivilisation.
Wer den steilen Aufstieg beim Corbin Cabin Cutoff Trail angeht, gelangt zum einzigen typischen Wohnhaus der Region, das noch steht. Im Jahr 1909 fällte George Corbin hier Bäume und baute mit Hilfe der Nachbarn die einfache Hütte, die der Potomac Appalachian Trail Club vermietet. Wie die meisten Bergbewohner lebte er mit seiner Familie von der Subsistenzwirtschaft und handelte ein wenig mit Schnaps, den er brannte.
Anschließend führt der Drive durch den Marys Rock Tunnel, der die Menschen ungemein faszinierte. Er wurde 1932 in solide Granitfelsen gesprengt und macht den Eindruck, als müsste gleich die Hälfte der Decke runterkommen. Der immense Aufwand verhinderte, dass die Straße an der Seite des Berges herumführt und so weithin zu sehen wäre - es war ein gelungener Akt von Landschaftskosmetik.
Skyland bei Meile 42 ist ein Resort aus dem Jahr 1890, als man zum ersten Mal versuchte, Touristen in die Blue Ridge Mountains zu locken. Hier kann man auch heute noch am höchsten Punkt des Skyline Drive übernachten. Und natürlich den Stony Man besteigen, mit 1.223 Metern der zweithöchste Berg des Parks. Besucher, die sich bis auf einen Felssporn über dem Tal hinaus trauen, geben ein tolles Fotomotiv ab.
Big Meadows bei Meile 51 ist ein großes Freizeitzentrum: Wanderwege starten hier, es gibt einen Hotel und einen Campingplatz, geführte Touren, Reitpferde und Kurse für Bergsteiger.
Zurück auf dem Skyline Drive halten wir bei Meile 52,8. Ein Schild zeigt den vier Meilen langen Weg an, der zu Rapidan Camp und zurück führt. Auf dem Weg flattern Schmetterlinge durch das Zwielicht, ab und zu trotten Bären vorbei oder Hirsche lassen sich sehen.
Präsident Herbert Hoover baute sich hier 1929 sein Urlaubsdomizil, an das er strenge Anforderungen stellte: Es sollte nicht weiter als 100 Meilen von Washington entfernt sein, zum Angeln einen Forellenbach vor der Haustür haben und so hoch liegen, dass es keine Moskitos gab. Die restaurierten Hütten kann man von außen besichtigen.
An Meile 79 ist Loft Mountain das Einfallstor für Touren in den Süden des Parks. Bei der Tankstelle beginnt der Deadening Trail, an dessen Rand man nachvollziehen kann, wie sich das Weideland in Wildnis verwandelt.
Schließlich führt der Skyline Drive bei Rockfish Gap aus dem Park hinaus und verwandelt sich in eine noch berühmtere Panoramastraße: den Blue Ridge Parkway, der über 469 Meilen zu den Great Smoky Mountains hinüber führt.

ANREISE


Von Washington D.C. nimmt man die Interstate 66. Nach Front Royal, Virginia sind es 62 Meilen. Die Abfahrt auf die Route 340 nach Süden führt in den Park hinein. Folgt man den Schildern nach links, kommt man zur Entrance Station und dem Visitor Center. Der nächste größere Flughafen ist der Washington Dulles International Airport, 56 Meilen vom Park entfernt.

REISEZEIT


Weil der Park auf einem Höhenzug liegt, ist es hier rund zehn Grad kälter als im Umland - eine willkommene Abkühlung im Sommer. Im Winter verwandelt sich Virginias üblicher Regen hier oben in Schnee. Die meisten Besucher kommen im Herbst in den Park, der wegen seiner Laubfärbung berühmt ist. Allein im Oktober verfolgen bis zu 250.000 der jährlich über eine Million Besucher das Welken des Laubes, das langsam die Berge hinabkriecht und deshalb völlig unterschiedliche Phasen und Farben an einer einzigen Kuppe erleben lässt. Ein Tipp ist der Frühling, in dem die Wildblumen blühen, die ersten Hörnchen und Murmeltiere aus ihren Höhlen kriechen und der Park viel leerer ist.

LODGING UND CAMPING


Das Skyland Resort bei Meile 42 bietet Zimmer von der komfortablen Hütte bis zur noblen Suite. Die günstigsten Unterkünfte sind die Zelthütten der Lewis Mountain Cabins bei Meile 58. Alle Lodges sind zu buchen unter www.visitshenandoah.com.
Es gibt vier Campingplätze im Shenandoah National Park. In Big Meadows, Loft Mountain und Mathews Arm können die Besucher vorbuchen - allerdings nur einen geringen Teil der Plätze. In Lewis Mountain werden alle Plätze nach dem Prinzip "First Come First Serve" vergeben. Buchungen unter www.recreation.gov.

AUSKUNFT


Infos über den Park unter www.nps.gov/shen


Ausgabe 4-2008

© Text: AMERICA/Lukas Martin
 

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